Das Thema Nachhaltigkeit ist schon lange auch in Wissenschaft und Forschung angekommen. Vor welchen Herausforderungen stehen die Hochschulen, die sich mit Themen wie Klimawandel, Biodiversität und zirkuläre Wirtschaft auseinandersetzen? Wie verändern sich ihre Rolle in der Gesellschaft und ihr Selbstverständnis als Institution? Humboldtⁿ - Sprecherin Prof. Dr. Birgitta Wolff im Gespräch mit Friederike Invernizzi von Forschung&Lehre.

Forschung & Lehre: Wie kann Nachhaltigkeit im Kontext von Wissenschaft und Hochschulen gestaltet werden?

Birgitta Wolff: Wissenschaft kann Nachhaltigkeit zunächst einmal durch gute Forschung fördern. Gerade in Kombination mit großen Studierendenzahlen haben wir hier unsere ganz eigenen Möglichkeiten: Mit neuem Wissen und neuen Kompetenzen von immer mehr Menschen können wir sehr effektiv helfen, die großen Herausforderungen zu meistern. Erkennen und Analysieren von Problemen sind Basis für tatsächliche Problemlösungen. Und auch um diese, um konkrete Gestaltungsvorschläge, müssen wir uns kümmern. Gelingt es uns, mehr Wissen über die bereits in der Wissenschaft vorhandenen und weiterhin erreichbaren Lösungsansätze zu vermitteln, so entsteht vielleicht auch wieder mehr Zuversicht in der Gesellschaft. Katastrophenstimmung allein hilft uns ja nicht weiter. Aber auch in unserem eigenen Betrieb können wir natürlich einiges erreichen, angefangen bei ökologisch besseren Gebäuden, Betriebsformen und Mobilitätskonzepten. Intern wie extern gilt es, Nachhaltigkeitsaktivitäten sichtbar machen, zu begründen und stets weiterzuentwickeln. Dabei kommt es immer wieder zu Zielkonflikten; Nachhaltigkeit weist ja nicht nur eine Dimension auf. Wirksame Kommunikation und breite Beteiligung sind gefragt. Ebenso helfen Kooperationen und Vernetzung mit externen Partnern.

F&L: Welches Thema erscheint Ihnen dabei besonders wichtig?

Birgitta Wolff: Eine besondere Chance, aber auch Verantwortung speziell für Universitäten liegt aus meiner Sicht in der Lehrkräftebildung. Nicht nur Problembewusstsein, sondern auch das Wissen um Lösungsansätze und deren wissenschaftlich fundierte Entwicklung sollten Unterrichtsinhalte sein – und das aus der vollen Breite universitärer Disziplinen. Was in den Schulen vermittelt wird, erfährt eine unschlagbare Multiplikatorwirkung. Da können wir insgesamt noch besser werden. Gerade was technisch- naturwissenschaftliche Lösungsansätze angeht, scheinen viele Schülerinnen und Schüler mit nicht allzu viel Zuversicht ihre Schulen zu verlassen. „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (BNE) ist aktuell nicht ohne Grund an vielen Stellen ein hochaktuelles Thema, auch in der Lehrkräftebildung.

F&L: Wie planen und realisieren Sie an Ihrer Universität Nachhaltigkeit, und welche Ziele stehen ganz oben auf der Agenda?

Birgitta Wolff: Im Rahmen der aktuell laufenden Diskussion um die künftige Forschungsstrategie klären wir, zu welchen Problemfeldern wir Lösungsbeiträge leisten können, zu welchen aber auch nicht. Wir können Nachhaltigkeitsthemen nicht in ihrer ganzen Breite behandeln. Das zu behaupten, wäre anmaßend. Wir müssen uns ja nach unseren Kompetenzen und Möglichkeiten richten. Beispielsweise arbeiten technischnaturwissenschaftliche Arbeitsgruppen zu den Themen „Zero Waste and Zero Carbon Technologies“ und kooperieren zu „Big Data and AI for Creating a Safer Tomorrow“ mit geistes- und sozialwissenschaftlichen Arbeitsgruppen. „Next Generation Learning, Teaching, Knowledge Transfer“ ist ein Themenfeld, bei dem Bildungsforschung, Erziehungswissenschaft und die Fachdidaktiken besonders gefragt sind. Und bei „Shaping Sustainable Societal Transformation“ können unter anderem Kultur-, Geistes-, Sozial- und Designwissenschaften aus dem Vollen schöpfen. So gruppieren sich die Fächer lösungsorientiert um jeweils bestimmte Nachhaltigkeitsherausforderungen. Noch mehr Themenfelder können wir kaum glaubwürdig intensiv beforschen. Zu klären, an welchen Problemen genau man arbeitet, hilft, auch im großen Themenfeld „Nachhaltigkeit“ fokussiert und analytisch zu diskutieren.

Wir bewegen uns ja anerkanntermaßen in einem komplexen Spannungsfeld zwischen sozialen, ökologischen und ökonomischen Nachhaltigkeitsaspekten, zwischen denen immer wieder vermittelt werden muss und Synthesen gefunden werden sollen. Wenn mehrere Disziplinen ihre spezifischen Perspektiven und Lösungsansätze einbringen, wirkt das wie eine Vielzahl von Scheinwerfern, die ein bestimmtes Objekt besser ausleuchten als nur eine Lampe. Erfolgsrezept dabei ist, miteinander zu reden, gewohnte Pfade zu verlassen und das Gehen neuer Wege zu fördern. Und letzteres gilt natürlich nicht nur für die Forschung, sondern auch für die Lehre, den Betrieb sowie alle Kommunikations- und Vernetzungsthemen.

F&L: Vor welchen Hindernissen stehen Sie, und wie gehen Sie damit um?

Birgitta Wolff: Wenn wir eine gemeinsame Verständniskultur für Nachhaltigkeit entwickeln wollen, braucht es eine Kultur des Miteinanders. Man muss sich klarmachen: Wir haben als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler je nach Fach einen anderen Blickwinkel, ein anderes Verständnis von Nachhaltigkeit, sodass es wichtig ist, ins Gespräch zu kommen und immer wieder zu vermitteln. Die Ideen und Vorstellungen, die aus unterschiedlichen Richtungen kommen, finden nicht von allein zusammen. Ein Problem ist auch, dass es in Deutschland immer eine Liste mit tausend Gründen zu geben scheint, aus denen ein neuer Lösungsansatz garantiert nicht funktioniert. Viele Vorbehalte sind zu überwinden. Da hilft nur, mit analytischer Schärfe auf Lösungsmöglichkeiten hinzuweisen und vermeintliche Hinderungsgründe zu widerlegen. Es geht nicht darum herauszufinden, warum etwas nicht geht, sondern darum, wie etwas geht. Modellversuche und Pilotprojekte helfen dabei. Kontrollierte Experimente sind ja ein Lebenselixier der Wissenschaft. Ein Beispiel dazu aus dem Unibetrieb: Gegen die Installation von Photovoltaikanlagen auf unseren Gebäuden und die Installation von E-Ladesäulen wurde unter anderem argumentiert, dass sie vom Landesbaubetrieb nicht vorgesehen seien, die Traglast der alten Gebäude nicht reiche und eh kein Geld dafür da sei. Wir haben dann einen Lösungsansatz für E-Ladesäulen mit einem anderen Player, den Stadtwerken, gefunden. Und nun geht der Rest offenbar auch mit dem Landesbaubetrieb. So kommen die Dinge in Bewegung. Fantasie und Pilotprojekte helfen, mit den Bedenken von Akteurinnen und Akteuren umzugehen. Kreativität und Kommunikation in Kombination mit Geduld und Beharrlichkeit helfen, Hindernisse gemeinsam zu überwinden.

F&L: Sie sind Sprecherin von Humboldtn, der Nachhaltigkeitsinitiative der Universitäten in Nordrhein-Westfalen. Was sind die Ziele dieser Initiative, und wie wollen Sie diese umsetzen?

Birgitta Wolff: Humboldtn verfolgt das Ziel, die nachhaltigkeitsbezogenen Kompetenzen der NRW-Unis, des Wuppertal Instituts und der NRW-Akademie für Wissenschaft und Kunst sowie weiterer Partnereinrichtungen sichtbar und transparent zu machen und sie immer wieder zu konkreten Problemlösungspaketen zu bündeln. Jedes Jahr ist einem bestimmten Thema gewidmet. In diesem Jahr beschäftigt sich Humboldtn beispielsweise mit „Klimawandel und Gesundheit“, für 2025 steht „Nachhaltigkeitskommunikation“ auf der Agenda. Dazu gibt es drei Gruppen von Aktivitäten, zum Beispiel Kommunikationsinstrumente, angefangen bei einer Website. Weitere laufende Projekte sind beispielsweise eine Ringvorlesung für Bachelor- und Masterstudierende, die auch zu ETCS-Punkten führt, Summerschools für Promovierende und Postdocs sowie die Planung und Durchführung gemeinsamer Forschungsprojekte und Workshops. Auch zum Thema BNE engagiert sich Humboldtn. In einem nächsten Schritt wollen wir eine Plattform, eine „Zukunftskonferenz“, entwickeln, auf der sich alle Forschenden und Lehrenden aus NRW treffen und in der Folge auch mit Vertretungen aus der Landespolitik austauschen können. Da sollen nicht nur Hochschulen beteiligt sein, sondern auch außeruniversitäre Partnerinnen und Partner werden eingeladen. Die Konferenz soll im Dialog mit der Landesregierung ausgerichtet werden: Sie wird sich thematisch an den sechs Nachhaltigkeitsthemen orientieren, die zur Zeit von den Fachministerien für die Nachhaltigkeitsstrategie des Landes NRW erarbeitet werden. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit dafür, dass unsere Arbeit auf wirkliches Interesse auch jenseits der Wissenschaft stößt.